Netzwelt

Das Neueste aus dem Netz

Musk macht Werbe-Expertin zur Twitter-Chefin

Musk macht Werbe-Expertin zur Twitter-Chefin
Elon Musk wurde Mitte April auf einer Branchenkonferenz von Linda Yaccarino interviewt. Sie wird die neue Chefin bei Twitter. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Rebecca Blackwell/AP/dpa)
Ende 2022 erklärte Elon Musk, er werde den Spitzenposten bei Twitter räumen - aber erst, wenn die Nachfolge geregelt sei. Nun wurde eine neue Chefin verkündet. Aber auch Musk bleibt.

Tech-Milliardär Elon Musk legt den Chefposten bei Twitter nach einem chaotischen halben Jahr in die Hand einer Werbe-Expertin. Er heiße Linda Yaccarino als Vorstandsvorsitzende willkommen, verkündete Musk per Tweet und bestätigte damit jüngste US-Medienberichte. Die neue Geschäftsführerin des Kurznachrichtendienstes leitete zuletzt das Anzeigengeschäft beim Medienriesen NBCUniversal.

Die jahrzehntelange Erfahrung von Yaccarino könnte Twitter helfen, Ruhe in das Verhältnis zu wichtigen Werbekunden zu bringen, die Musk mit seinem erratischen Führungsstil verschreckte. Er selbst will sich künftig als Technikchef um Produkte und Software kümmern. Offen ist, wie viel Handlungsfreiheit die neue Managerin neben Musk haben wird.

Musk hatte am Vortag angekündigt, dass er bald den Chefjob abgeben wolle. Eine Nachfolgerin sei gefunden und werde in rund sechs Wochen übernehmen, schrieb er in einem Tweet. Einen Namen nannte er dabei nicht. Schnell kamen Medienberichte auf, dass es Yaccarino sei, die mit Twitter verhandele. NBC Universal gab am Freitag bekannt, dass sie das Unternehmen mit sofortiger Wirkung verlasse.

Das Interview

Yaccarino verantwortete bei NBC Universal das globale Anzeigengeschäft. Zum Konzern gehören unter anderem die US-Senderkette NBC und der Streamingdienst Peacock. Zuvor arbeitete sie lange im TV-Geschäft von Warner. NBC Universal ging jüngst einen Deal mit Twitter rund um Material von den Olympischen Spielen in Paris 2024 ein. «Variety» schrieb unter Berufung auf Yaccarinos Umfeld, sie habe schon länger ihre Bewunderung für Musk zum Ausdruck gebracht. Mitte April interviewte sie ihn auf der Bühne einer Branchenkonferenz und zeigte dabei Sympathie für seine Ansichten und erklärten Ziele.

Musk hatte Twitter im Oktober für rund 44 Milliarden Dollar gekauft, alle Top-Manager gefeuert und selbst die Führung übernommen. Danach brachen die Werbeeinnahmen ein – die zentrale Geldquelle von Twitter. Viele Anzeigenkunden befürchteten ein negatives Umfeld für ihre Produkte bei dem Dienst. Im Dezember ließ Musk nach Kontroversen um seinen Führungsstil Twitter-Nutzer darüber abstimmen, ob er den Chefposten räumen soll – und gut 57 Prozent der 17,5 Millionen Teilnehmer sprachen sich dafür aus.

Danach passierte zunächst nichts, obwohl Musk versichert hatte, dass er sich an den Ausgang der Abstimmung halten werde. So sagte er, er müsse erst jemanden finden, der «irre» genug sei, das Jobangebot anzunehmen. Im Februar stellte er in Aussicht, den Chefposten Ende des Jahres zu übergeben. Im April sagte er dem Sender BBC dann, sein Hund sei Twitter-Chef.

Gegenwind für Elon Musk

Zugleich betonte Musk immer wieder, er sei überlastet und wolle auf lange Sicht die Führung bei Twitter abgeben. Der 51-Jährige ist unter anderem auch Chef des Elektroauto-Herstellers Tesla und der Weltraumfirma SpaceX. Vor allem unter Tesla-Investoren gab es Murren, dass Musk zu viel Zeit mit Twitter-Belangen verbringe.

Musks bislang rund halbes Jahr als «Head of Twitter» war von Chaos und Krisen geprägt. Nach einer Reihe umstrittener Entscheidungen wurde der Gegenwind immer stärker. Zuletzt sorgte er für Chaos mit der Entscheidung, die alten Verifikationshäkchen zu löschen, mit denen der Kurznachrichtendienst einst die Echtheit der Accounts von Prominenten bestätigte. Die gleichen Symbole haben jetzt Abo-Kunden – aber ohne verlässliche Prüfung ihrer Identität.

Musks Twitter-Kauf hatte von Anfang an für viel Argwohn gesorgt. Der Multimilliardär stellte die Übernahme als Aktion zur Stärkung der Redefreiheit dar. Kritiker befürchteten jedoch eine weitere Verrohung. Sie sorgten sich, dass der Eigentümerwechsel zu ungezügelten Hassbotschaften, Desinformationen und Hetze führen könnte.

Anzeigenkunden verschreckt

Musk gelang es bislang nicht, diese Bedenken auszuräumen. Im Gegenteil: Mit einer Kündigungswelle, Regeländerungen und anderen brisanten Entscheidungen erschütterte er das Online-Netzwerk und verschreckte Anzeigenkunden. Das Abo-Geschäft bringt hingegen nach Einschätzung von Marktbeobachtern nur wenig Geld ein.

Die Tech-Journalistin Kara Swisher tippte deshalb schon kurz nach Musks Tweet darauf, dass Werbe-Expertin Yaccarino die wahrscheinliche Kandidatin für den Twitter-Chefposten sei. Wenig später berichtete das «Wall Street Journal», die Managerin sei in Gesprächen über den Job. Es folgten das Hollywood-Blatt «Variety» und die Website «Puck». Musk präsentierte die Berufung einer neuen Chefin bereits als vollendete Tatsache. Ein Sprecher von NBC Universal sagte dem «Wall Street Journal» erst, Yaccarino probe derzeit eine Präsentation für Werbekunden. Am Freitag teilte der Konzern dann mit, dass sie mit sofortiger Wirkung das Unternehmen verlässt.

Elon Musks Tweet

Der milliardenschwere Twitter-Kauf, den Musk zwischenzeitlich wieder abzublasen drohte und letztlich nur unter hohem rechtlichen Druck durchzog, war bislang finanziell ein großer Misserfolg. Bei der jüngsten Ausgabe von Aktien an Mitarbeiter wurde der Firmenwert nur noch halb so hoch angesetzt, wie Musk in einem BBC-Interview bestätigte. Zugleich behauptete er in einer E-Mail an die Belegschaft, Twitter könne eines Tages 250 Milliarden Dollar wert sein.

Die Andeutungen, der Dienst könne die Basis für eine Super-App nach dem Vorbild etwa von WeChat in China werden, gingen bisher aber nicht über Gedankenspiele hinaus. Von den einst rund 8000 Twitter-Mitarbeitern sind noch rund 1500 übrig geblieben.

Von Andrej Sokolow und Hannes Breustedt, dpa