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Klicks statt Behördengang: Der Weg zum digitalen Staat

Klicks statt Behördengang: Der Weg zum digitalen Staat
Klassisch: Warten auf einen Termin, hier im Potsdamer Rathaus. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Bernd Settnik/dpa-Zentralbild/dpa)
Weniger Papierkram, mehr Transparenz und weniger Aufwand für Bürger. Die Digitalisierung der deutschen Verwaltung soll vieles einfacher und effizienter machen. Das ist allerdings ein Mammutprojekt.
«Noch viel Arbeit»:

Nicht nur der Name klingt märchenhaft: Das Projekt «Elfe» («Einfach Leistungen für Eltern») soll Eltern vor der Papierlawine bewahren, die mit der Geburt eines Kindes über sie hereinbricht.

Wer Nachwuchs bekommt, muss dann nicht mehr zig Formulare bei unterschiedlichen Behörden mit immergleichen Daten füllen. Stattdessen soll ein einziger online gestellter Kombi-Antrag für Elterngeld, Kindergeld und Geburtsanzeige ausreichen. In Bremen können einige Bürgerinnen und Bürger das bereits in einem Pilotprojekt nutzen.

«Elfe» ist eines der Vorzeigeprojekte des Onlinezugangsgesetzes (OZG) von 2017, das die Digitalisierung von 575 Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern bis Ende 2022 vorsieht. Mit der Umstellung auf digital sollen aber nicht einfach aus Papieranträgen Onlineformulare werden. Auch Prozesse müssten anders strukturiert werden, erklärt Marc Danneberg, Referent für den öffentlichen Sektor beim Digitalverband Bitkom.

«Ein Verwaltungsmitarbeiter müsste dann zum Beispiel nicht mehr manuell alle für einen Vorgang nötigen Informationen zusammensuchen. Das könnte das System für ihn übernehmen», sagt Danneberg. «Bürgerinnen und Bürger könnten etwa online mitverfolgen, wie weit ihr Antrag gediehen ist und wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist – ähnlich wie bei der Paketzustellung.» Für die Nutzung der Informationen müssten im Sinne des Datenschutzes natürlich auch technische Schranken hochgezogen werden, was aber problemlos machbar sei. «Für eine Kfz-Zulassung muss eine Behörde ja nicht gleich auf alle Daten zugreifen, die es zum Antragsteller gibt.»

Gelingt das, die Verwaltungen in Bund, Ländern und Kommunen in nur wenigen Jahren derart umzukrempeln? Danneberg ist optimistisch, sieht aber auch noch viel Arbeit. «Der absolute Knackpunkt ist die Verfügbarkeit. Eine Leistung sollte ja nicht nur in irgendeiner Kommune als Pilotprojekt angeboten, sondern in der Fläche ausgerollt werden.»

Ob das klappt, ist indes unklar. Zwar sind von 575 Verwaltungsleistungen 315 und damit mehr als die Hälfte bereits verfügbar – das heißt jedoch nur, dass sie in mindestens einer Kommune angeboten werden. Das Bundesinnenministerium sieht die Umsetzung gleichwohl «im Plan» und hält an der Zielmarke für 2022 fest.

Um die Mammutaufgabe zu stemmen, haben sich Bund und Länder die Arbeit aufgeteilt. So ist etwa Baden-Württemberg zusammen mit dem Bundesverkehrsministerium federführend im Bereich «Mobilität und Reisen», Brandenburg bei «Ein- und Auswanderung» und Bremen bei «Familie und Kind» – daher das «Elfe»-Pilotprojekt. Was ein Land entwickelt hat, kann das andere übernehmen.

Klingt effizient. Doch der deutsche Föderalismus ist nun mal eine Ansammlung sehr selbstbewusster Länder. «Es gibt Länder, die dazu neigen, alles selbst machen zu wollen. Und es gibt andere, die schon aufgrund ihrer geringeren Größe mehr Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeigen», sagt der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrats, Johannes Ludewig, in einem vor kurzem veröffentlichten Dossier der Bundes-Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister (Vitako). Der Normenkontrollrat ist ein Gremium, das die Bundesregierung bei Gesetzgebung, Bürokratieabbau und Digitalisierung berät.

Obwohl Städte und Gemeinden mit Hochdruck an der Verwaltungsdigitalisierung arbeiteten, gebe es großen Nachholbedarf, betont der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. «Es fehlen personelle Kapazitäten und Fachleute, es fehlt an Geld und es fehlen auch immer noch klare Vorgaben, was Standards und Schnittstellen angeht.»

Von 2018 bis heute hat das Bundesinnenministerium nach eigenen Angaben rund 180 Millionen Euro für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes ausgegeben. Hinzu kommen weitere drei Milliarden Euro für Verwaltungsdigitalisierung im Rahmen des Konjunkturprogramms der Bundesregierung für die Jahre 2020 bis 2022. Diese drei Milliarden müssten genutzt werden, um die Kommunen bei der Umstellung interner Verwaltungsabläufe zu unterstützen, drängt Landsberg. «Denn vor Ort in den Städten und Gemeinden ist die eigentliche Arbeit zu leisten.»

Die Corona-Pandemie werde für deutliche Fortschritte sorgen, glaubt Landsberg. Ohne Digitalisierung hätte der Betrieb in den Kommunen nicht so gut aufrechterhalten werden können im Lockdown. «Umgekehrt haben wir auch gesehen, dass digitale Lösungen in wichtigen Bereichen, etwa in den Schulen oder im Gesundheitswesen, noch nicht so weit verbreitet sind, wie es notwendig gewesen wäre.»

Das Bundesinnenministerium betont, schon zu Beginn der Corona-Zeit seien relevante Leistungen mit Vorrang digitalisiert worden. So seien in nur 36 Tagen digitale Anträge zur Entschädigung bei Verdienstausfällen wegen behördlich angeordneter Quarantäne oder wegen Schul- und Kitaschließungen entwickelt worden. Noch im April seien diese in immerhin elf Bundesländern online gegangen.

Doch Digitalisierung braucht nicht nur effiziente Strukturen, verlässliche Software und intuitiv bedienbare Online-Formulare sondern auch juristische Grundlagen. Für viele Verwaltungsvorgänge sind heute noch Unterschriften auf Papier gesetzlich vorgeschrieben, ebenso wie persönliches Erscheinen bei der Behörde oder die Vorlage bestimmter Dokumente. Beispiel «Elfe»: Damit künftig Standesämter Daten zur Geburtsurkunde elektronisch an die Elterngeldstellen übermitteln dürfen und damit Elterngeldstellen und gesetzliche Krankenkassen elektronisch Daten austauschen können, brauchte es erst eine Gesetzesänderung. Und das ist nur ein Bruchteil der Neuerungen, die allein nötig sind, um werdenden Eltern das Leben leichter zu machen – von den anderen Hunderten Verwaltungsleistungen gar nicht zu sprechen.

Kommunalvertreter Landsberg fordert deswegen einen «Digital-TÜV für alle neuen gesetzlichen Regelungen, der diese auf ihre Einsatzfähigkeit im digitalen Zeitalter überprüft». Bitkom-Experte Danneberg vermisst weiterführende Planungen für die Zeit nach 2022. Denn: «Wenn die Leistungen verfügbar sind, müssen sie auch gepflegt und weiterentwickelt werden. Auch dafür muss man Strukturen schaffen und zum Beispiel klären, ob das in der Hand des Landes liegen soll, das die entsprechende Leistung entwickelt hat», sagt er. «Die Verwaltungsdigitalisierung ist eine Daueraufgabe.»

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