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KI als Dolmetscher: Müssen wir nie mehr eine Sprache lernen?

Inzwischen kann Software auf Telefonen auch in Echtzeit als Dolmetscher in einer Unterhaltung helfen (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jens Kalaene/dpa)
Welch ein Traum: Im Ausland sofort die Sprache vor Ort verstehen und sprechen können. Künstliche Intelligenz bringt uns diesem Wunsch näher. Was Experten zu diesem Zukunftsszenario sagen.

In dem Kultroman «Per Anhalter durch die Galaxis» braucht niemand eine Sprache zu lernen. Wer sich in dem Science-Fiction-Klassiker den Babelfisch, ein fiktives Wesen, ins Ohr setzt, versteht plötzlich sämtliche Sprachen des Universums. Ist das eine Vorlage fürs Hier und Jetzt? Können wir mit Künstlicher Intelligenz (KI) zu einem ähnlichen Sprung über Sprachbarrieren ansetzen?

Für den Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch gibt es bereits heute Simultan-Übersetzer, die das Lernen von Fremdsprachen überflüssig machen könnten. Möglich sei das durch Fortschritte beim maschinellen Lernen. Computergestützte Spracherkennung und Übersetzung seien inzwischen so gut, dass sie für viele alltägliche Zwecke ausreichten. Auf modernen Smartphones wird dafür oft eine entsprechende App installiert.

Das Ziel lautet: maschinelle Übersetzung von Sprache in Echtzeit. Das bedeutet: Die Programme liefern das Ergebnis möglichst ohne eine Pause. Technisch lägen die Voraussetzungen dazu bereits vor, heißt es vom Goethe-Institut. Dessen Experten unterscheiden zwischen dem Übersetzen einer Sprache in eine andere und dem Lernen sowie Beherrschen einer Fremdsprache. Letzteres gehe über «die einfache Simultanübersetzung weit hinaus».

Übersetzungs-Apps scheitern noch an großen Aufgaben

Vor ein paar Jahren wirkte es noch wie Magie, wenn eine Speisekarte vor der Smartphone-Kamera auf dem Display bereits übersetzt anzeigt wurde. Inzwischen kann Software auf den Telefonen auch in Echtzeit als Dolmetscher in einer Unterhaltung helfen: Sätze in Fremdsprache werden auf dem Display in übersetzten Text umgewandelt. So kann man die Sprachbarriere durchbrechen – wenn auch in einem Dialog mit Verzögerungen.

Hersteller Samsung geht bei seinem in enger Zusammenarbeit mit Google entwickelten neuen Smartphone Galaxy S24 noch weiter mit der Übersetzung von Anrufen. Die Idee ist etwa, dass man in einem anderen Land ohne Sprachkenntnisse einen Tisch im Restaurant reservieren kann. Die Software übersetzt dafür nicht nur, sondern spricht die Sätze auch mit computergenerierter Stimme aus. Der Preis sind wiederum Pausen in der Unterhaltung.

Auch haben die Programme manchmal Probleme, das Gesagte akustisch zu verstehen. Und obwohl die Übersetzungsfähigkeiten über die Jahre immer besser geworden sind: Ein Ausdruck wie «nicht das Gelbe vom Ei» wird immer noch zu «not the yellow of the egg».

Je mehr die Programme bewältigen müssten, «desto eher versagen diese Apps derzeit noch», erklärt deshalb auch Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin. Doch er sieht Potenzial: «Spracherkennung und Übersetzung sind Bereiche, in denen beim maschinellen Lernen noch große Fortschritte zu erwarten sind.»

Der Fremdsprachensektor stehe vor tiefgreifenden Veränderungen, heißt es beim Goethe-Institut. Denn KI-Modelle wie ChatGPT entwickelten sich rasant weiter. Sie werden, so die Annahme der Experten, «sowohl den Lernprozess als auch die Art und Weise, wie wir kommunizieren, verändern».

Warum Fremdsprachen lernen trotzdem Sinn macht

Und wenn das passiert: Macht es dann überhaupt noch Sinn, eine Fremdsprache zu lernen? Stefanowitsch bejaht das. «Ich halte das auf jeden Fall für wertvoll.» Denn in der Kommunikation gehe es nicht nur darum, Informationen auszutauschen, sondern auch darum, sich auf einer menschlichen Ebene miteinander auseinanderzusetzen. «Eine Freundschaft oder gar eine Liebesbeziehung werden wir auch in Zukunft nicht mit einer dauerhaft zwischengeschalteten App führen wollen», erklärt er.

Dazu komme, dass der Mensch in andere Kulturen nur bedingt eintauchen könne, «solange uns jede Äußerung von einem Computer übersetzt werden muss», so der Sprachwissenschaftler. In jeder Sprache stecke eine andere Perspektive auf die Welt. Diese könne nur erfahren werden, wenn die Sprache selbst gelernt werde.

Darauf zielen auch die Experten vom Goethe-Institut und nennen als Beispiel Pflegekräfte in Deutschland, die in zunehmender Zahl nicht Deutsch als Muttersprache sprechen. Hier sorgt natürliche Sprache für Empathie. «Wollen wir in einer Welt leben, in der Pflegekräfte mit Simultanübersetzung mit ihren Patienten kommunizieren?», fragt das Goethe-Institut.

Neue Formen des Fremdsprachenunterrichts

Speaking english, lesson one: In einer Welt mit digitalen Übersetzungshilfen wirkt der Fremdsprachenunterricht in der Schule altmodisch. Trotzdem findet Stefanowitsch, dass die Kinder «im Großen und Ganzen» auf die richtige Art und Weise lernen. Sprachlern-Apps könnten die Schulstunde ergänzen, aber nicht ersetzen, erklärt er. Beim Goethe-Institut geht man davon aus, dass sich die Rolle des Lehrers und der Unterricht verändern – «weg von der reinen Wissensvermittlung hin zu einer aktiven Begleitung der Lernenden».

Beim Lernen zu Hause könnten sich die Schüler dann von der KI die Hausaufgaben machen lassen. Das betrifft aber nicht nur Fremdsprachen, sondern auch andere Bereiche. «Wir werden in Zukunft auf alle Arten von Hausaufgaben verzichten müssen, die von sogenannten KI-Anwendungen erledigt werden können», prophezeit der Sprachwissenschaftler.

Das machen Simultanübersetzungen mit der Muttersprache

Maschinell erzeugte Texte orientieren sich sehr stark an einer Art Durchschnittssprache. Deshalb klingen sie «immer sehr phrasenhaft und wenig persönlich», sagt Stefanowitsch. Bei einer flächendeckenden Verwendung maschineller Simultan-Übersetzer sieht das Goethe-Institut Auswirkungen auf Mundart und Dialekte. Durch die Reduzierung auf eine Standardsprache könnten lokale und individuelle Variationen in Gefahr geraten. Außerdem: Um eine fehlerfreie Übersetzung zu gewährleisten, könnte es auch zu einer Reduzierung im Umfang des Wortschatzes kommen. Der Sprachwissenschaftler stellt fest: «Es ist besser, wenn Übersetzungen von Menschen angefertigt werden statt von Maschinen.»

Von Marc Fleischmann und Andrej Sokolow, dpa