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Scharfe UN-Kritik: Twitter sperrt Journalisten-Accounts

«Für 'Journalisten' gelten die gleichen Doxing-Regeln wie für alle anderen»: Elon Musk. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Adrien Fillon/ZUMA/dpa)
Meinungsfreiheit schreibt Elon Musk angeblich groß - und lässt trotzdem die Twitter-Konten prominenter US-Journalisten sperren. Bei den Vereinten Nationen beobachtet man diese Entwicklung mit Sorge.

Nach der Sperrung mehrerer Journalisten bei Twitter haben sich die Vereinten Nationen zutiefst beunruhigt über die Entwicklung des Online-Netzwerkes unter ihrem neuen Besitzer Elon Musk gezeigt. Reporter dürften auf einer Plattform, die vorgebe, ein Raum für Meinungsfreiheit zu sein, nicht durch die willkürliche Sperrung von Konten zum Schweigen gebracht werden, sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric in New York.

«Aus unserer Sicht schafft der Schritt einen gefährlichen Präzedenzfall zu einer Zeit, in der Journalisten auf der ganzen Welt Zensur, körperlichen Drohungen und noch Schlimmerem ausgesetzt sind», so Dujarric weiter. Man habe in letzter Zeit einen sehr besorgniserregenden Anstieg von Hassreden, Desinformationen zum Klima und anderen Themen auf Twitter gesehen. Auch Medien- und Regierungsvertreter weltweit kritisierten Musk scharf und warfen ihm vor, die Pressefreiheit nach Belieben einzuschränken.

Der Online-Dienst hatte sich in den vergangenen Jahren zu einer wichtigen Kommunikationsplattform entwickelt: Auf der ganzen Welt nutzen Regierungen, Behörden und Politiker Twitter für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Tech-Milliardär Musk hatte Twitter im Oktober übernommen und seitdem mit umstrittenen Aktionen für Aufsehen gesorgt.

Prominente US-Journalisten betroffen

Am Donnerstagabend (Ortszeit) sperrte Twitter die Konten von mindestens sechs prominenten US-Journalisten. Betroffen waren unter anderem Mitarbeiter der «New York Times», der «Washington Post» und des Senders CNN. Die Sperrungen seien ohne Vorwarnung erfolgt, berichtete die «Washington Post». Bereits am Vortag hatte Twitter einen Account gesperrt, über den man Musks Privatjet verfolgen konnte. Einige der nun ausgesperrten Journalisten hatten darüber berichtet sowie über Musks Äußerung, er und seine Familie seien durch die Weitergabe von Standortdaten gefährdet worden.

In mehreren Tweets in der Nacht zum Freitag schrieb Musk, für Journalisten gälten dieselben Regeln, wie für alle anderen. Er bezog sich dabei auf «Doxxing», nämlich die Weitergabe von persönlichen Daten einer Person, einschließlich Informationen wie der Adresse. «Sie haben meinen exakten Echtzeit-Standort gepostet, im Grunde die Koordinaten für ein Attentat», schrieb Musk. Musk sprach von einem Verstoß gegen die Twitter-Nutzungsbedingungen. Auf Bitten um eine direkte Stellungnahme habe Twitter zunächst nicht reagiert, berichteten mehrere US-Medien.

NYT: «Sperrung der Twitter-Konten fragwürdig und bedauerlich»

«Die heutige Sperrung der Twitter-Konten einer Reihe prominenter Journalisten, darunter Ryan Mac von der «New York Times», ist fragwürdig und bedauerlich», teilte der Sprecher der Zeitung, Charlie Stadtlander, mit. Man hoffe, dass die Sperrungen zurückgenommen würden. «Die impulsive und ungerechtfertigte Sperrung einer Reihe von Reportern, darunter Donie O’Sullivan von CNN, ist besorgniserregend, aber nicht überraschend», schrieb CNN. Viele der nun gesperrten Accounts verfügten bislang über eine hohe Reichweite. Journalisten verbreiten auf der Plattform Recherchen und Meinungsbeiträge.

Das Twitter-Konto, über das Musks Privatjet verfolgt wurde, war von einem Studenten angelegt worden, der dazu mit Hilfe eines automatisierten Computerbots öffentlich zugängliche Flugdaten auswertete. Musk hatte in einem Tweet am Mittwochabend erklärt, dass der deaktivierte Bot-Account gegen die Nutzerrichtlinien der Internetplattform verstoßen habe. Dabei hatte der Twitter-Chef im November noch verkündet, er sehe sich der Redefreiheit so sehr verpflichtet, dass er das Konto erlaube, obwohl es ein Risiko für seine Sicherheit darstelle.

Bundesregierung: «Beobachten das sehr genau»

Die Bundesregierung kritisierte die Sperrungen. Man nehme mit wachsender Sorge zur Kenntnis, was sich auf Twitter tue, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin. «Wir beobachten das sehr genau und stellen uns die Frage, welche Konsequenzen wir daraus ziehen könnten». Entscheidungen seien aber noch keine getroffen worden.

Das Auswärtige Amt twitterte: «Pressefreiheit darf nicht nach Belieben ein- und ausgeschaltet werden.» Der Beitrag verwies auf verschiedene gesperrte Journalisten-Accounts. Diese könnten nun auch dem Auswärtigen Amt nicht mehr folgen, nicht mehr kommentieren und kritisieren. «Damit haben wir ein Problem @Twitter», hieß es weiter.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte: «Aus unserer Sicht ist Pressefreiheit ein extrem hohes Gut und das gilt es zu verteidigen, wenn es in Frage gestellt wird, sei es durch Staaten sei es durch private Akteure.»

EU-Kommissarin droht mit Sanktionen

Die EU-Kommissionsvize Vera Jourova drohte dem Unternehmen von Musk langfristig mit Sanktionen. «Die Nachrichten über die willkürliche Suspendierung von Journalisten auf Twitter sind besorgniserregend», schrieb die Tschechin in dem Kurznachrichtendienst. Sie verwies unter anderem darauf, dass das EU-Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA), dessen Vorgaben ab Mitte Februar 2024 in der gesamten EU gelten, die Achtung der Medienfreiheit und der Grundrechte verlange. «Es gibt rote Linien. Und bald Sanktionen.»

Der Deutsche Journalisten-Verband forderte Musk auf, die Sperrungen sofort aufzuheben. «Dass Elon Musk allergisch auf Kritik reagiert, ist bekannt», sagt DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall. «Dass er Twittersperren gegen Journalisten verhängt, ist eine fatale Einschränkung der Pressefreiheit.» Niemand gebe dem Twitter-Eigentümer das Recht, mit Willkürakten das Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit auszuhebeln.